Zur Geschichte des
Arbeitersports – Wanderung mit 6 Stationen, organisiert vom Arbeitersport
Leipzig
Hier gibt's den Vortrag auch als PDF
Station 1: Ursprünge
des Arbeitersports als Teil der Organisierung des Proletariats
Den Entstehungsprozess
der Arbeitersportbewegung zu verfolgen, bedeutet einen Blick auf die Bedeutung
des Sportes für die Arbeiter über die Zeit zu werfen. Insbesondere das Turnen
nimmt hier eine zentrale Rolle ein und eben in dieser Sportart liegen die
Ursprünge der ersten Arbeitersportvereinigungen. Namen, die man sich in diesem
Zusammenhang merken sollte, sind Johann Christoph Friedrich GutsMuths und
Friedrich Ludwig Jahn. Ersterer wurde 1759 in Quedlinburg geboren und arbeitete
ab den 1780ern als Erzieher. Ein besonderes Augenmerk legte er auf das
planmäßige Lernen von gymnastischen Leibesübungen zur kontrollierten
Leistungssteigerung. Er war der Erste, der systematische und pädagogische
Überlegungen dazu entwickelte und so als erster Sportpädagoge und Mitbegründer
des Turnsportes gilt. Er prägte Ideen, durch Sport den körperlichen Verfall in
der modernen Gesellschaft aufzuhalten, schrieb über Spiele zur Übung und
Erholung des Körpers und Geistes sowie später auch zur Rolle des Sportes und
insbesondere des Turnens als Wehrerziehung.
Besonders an letzterem
hatte auch der als „Turn-Vater“ bekannte Friedrich Ludwig Jahn großes
Interesse. 1810 gründete er mit 11 anderen in Berlin den geheimen Deutschen
Bund, dessen Anliegen es war die deutschen Staaten von der Besatzung durch die
Franzosen zu befreien und zu einigen. Die Turner auf den Kampf dafür
vorzubereiten, war Zweck der Turnübungen. Zu diesen zählte Jahn die Gesamtheit
aller Leibesübungen – also neben Geräteübungen ergänzend auch Spiele,
Schwimmen, Fechten und Wandern. Bis 1818 gründeten sich nach dem Vorbild des
von Jahn 1811 gegründeten Berliner Turnvereins weitere Turnvereine in 150
Städten Deutschlands, die tausende Turner vereinigten.
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Übungen der Hanauer Turnerwehr während des ersten deutschen Parlaments in Frankfurt/Main, Holzstichc |
In der bürgerlichen
Revolution von 1848 spielten die Turner eine radikal-demokratische Rolle und
waren den damals fortschrittlichen Einheits- und Freiheitsideen des Bürgertums
verpflichtet. Diese Gesinnung wandelte sich im Laufe der folgenden Jahre
allerdings zur Unterstützung der reaktionären
und imperialistischen Politik des
deutschen Kaisers und Bismarcks. Die weitere fortschrittliche Rolle in der
Turnbewegung spielten also ab den 1870er/80er Jahren die turnenden Arbeiter.
Diese Arbeiter, die dem modernen Produktionsprozess der Industrien unterworfen
waren, entdeckten in den Turnvereinen und im Turnsport einen Ort geselliger
Veranstaltungen und ausgleichender körperlicher Betätigung. Auf der einen Seite
traten also viele Arbeiter den bestehenden Turnvereinen bei, die in der 1868
gegründeten Deutschen Turnerschaft vereint waren. Wo vorher vorallem
pädogigisch gebildete Bevölkerungsschichten, Beamte, Kaufmänner und Handwerker
am häufigsten vertreten waren, stellten die Industriearbeiter mit der Zeit
nicht selten die Mehrzahl. Auf der anderen Seite waren auch in den frühen sozialdemokratischen
Arbeiterbildungsvereinen Turnübungen im Sinne der allgemeinen Erziehung der
Arbeiter für ihren Befreiungskampf verbreitet.
Die unter den
turnenden Arbeitern verbreiteten sozialdemokratischen Ideen (die noch stärker
auf eine sozialistische Revolution ausgerichtet waren, als die heutige
Sozialdemokratie) waren den Vorsitzenden der Deutschen Turnerschaft ein Dorn im
Auge - auch wenn es bis auf kleinere innerverbandliche Auseinandersetzungen
keine nennenswerten politischen Aktivitäten der Arbeiter in den Turnverbänden
gab. 1878 wurde bspw. das Breslauer Turnfest abgesagt, weil die Führung der
Deutschen Turnerschaft befürchtete, dass es zu einem „Sozialistenkongreß“
umfunktioniert werden würde oder sogar den Beginn eines sozialdemokratischen
Putsches bedeuten könnte. Nach Verkündigung der Sozialistengesetze 1878 – die
auch die Auflösung der bisherigen politschen Arbeiterbildungsvereine bedeutete
– warnte der 1. Vorsitzende der Deutschen Turnerschaft:
„ Es wird
jetzt, nachdem durch das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie deren Anhänger genötigt sind, sich einen unschuldigen Boden
und eine erlaubte Form zu suchen, in verschiedenen Orten an Versuchen nicht
fehlen, die Turnvereine hierzu mißbrauchen zu wollen. Wo dies der Fall ist,
oder die Gefahr droht, möge sich kein Verein abhalten lassen die entsprechenden
Maßnahmen zu ergreifen… Ein Ausschluß solcher verderblicher Elemente wird
übrigens häufig das richtige treffen.“
Die Tradition der
verbotenen politischen Arbeiterbildungsvereine wurde unter dem Deckmantel der
„Fortbildungsvereine für Arbeiter“ fortgeführt – allerdings offiziell
enthielten sie sich jeder politischer Aktivität. Nach dem Fall der
Sozialistengesetze 1890 bekannten sich diese Fortbildungsvereine wieder zu
ihren politischen Zielen und nannten sich „Abeitervereine“. Leipzig nahm für
die Entwicklung des Arbeiterturnens eine zentrale Rolle ein – hier gründeten
sich aus dem Arbeiterverein über das Stadtgebiet verteilt neun Turnabteilungen.
Die neuen Mitglieder wurden wegen ihres sozialdemokratischen Hintergrundes
jedoch nicht in die Deutsche Turnerschaft aufgenommen, womit letztlich der
Grundstein für eine eigenständige Turnorganisation der Leipziger Arbeiter gelegt
war. Ein gemeinschaftliches Turnen der Turn-Abteilungen des Arbeitervereins am
01. Mai 1891 gab den letzten Anstoß zur Gründung der „Turnerschaft des
Arbeiterverins Leipzig“ und ihren Austritt aus der Deutschen Turnerschaft.
Bereits 1892 organisierten sie in Leipzig-Kleinzschocher ein eigenes Turnfest
mit über 500 Teilnehmern. Auf Turnfahrten wurden Kontakte zu anderen
Turnabteilungen von Arbeitervereinen geknüpft – so wie mit dem Berliner
Vorwärts, der eine Gründungsinitiative für einen freien Turnerbund angestoßen
hatte, den „Märkische-Arbeiter-Turnerbund“. Die entscheidenden Impulse für die
reichsweite Ausdehnung der Arbeiterturner kam aus Sachsen und hier
besonders aus Leipzig. 1893 gründete sich schließlich in Gera der Deutsche
Arbeiter-Turnerbund (ATB), der die erste reichsweit konstituierte
Arbeitersport-Organisation bedeutete. Seine ersten Vorsitzenden waren die
Leipziger Moritz Fromm und Hermann Rauh, die auch gleichzeitig Redakteure Der „Arbeiter-Turn-Zeitung“ waren. Von den
Arbeitervereinen, die hauptsächlich bildende Aufgaben übernahmen und mit Erstarken
der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften an Bedeutung verlor,
hatten sich bis 1905 alle Turnabteilungen gelöst und dem Arbeiter-Turnerbund
angeschlossen.
In den auf 1893 folgenden
Jahren konsolidierte sich der ATB trotz Schikanen durch die Obrigkeit und den
Hürden eines sich im Aufbau befindenden, solidarischen Sportbetriebs. Aufgrund
ihrer sozialdemokratisch/sozialistischen Ausrichtung wurde ihnen bspw. die
Nutzung von Turnhallen verwehrt, ihre Jugendarbeit unter dem Vorwand der
Politisierung verboten, sie erhielten Bußgelder, weil sie bei Turnfesten Rote
Nelken trugen und vieles mehr. Der Hass gegen Sozialdemokraten bedeutete aber
nicht nur Repressionen sondern auch neue Mitglieder. Allein eine
Gewerkschaftsmitgliedschaft bedeutete in der bürgerlichen Deutschen
Turnerschaft mittlerweile bereits den Ausschluss, sodass von dort viele
Arbeiter zum ATB wechselten.
Die Arbeiter waren
auch aus einem breiteren sportlichen Spektrum als dem Turnen sozialer
Ausgrenzung ausgesetzt - bspw. Exklusivität, teure Geräte oder hohe
Preise der bürgerlichen Vereinigungen verhinderten ihre Teilhabe. Das führte
ebenso wie im Turnen zur Gründung von Arbeitersport-Organisationen, die diese
Bereiche abdeckten - dazu später mehr. Der ATB als größte
Arbeitersportvereinigung fokussierte sich allerdings viele Jahre ausschließlich
auf das Turnen und weigerte sich aus sportpädagogischen und politischen Gründen
lange auch andere Sportarten zu fördern und zuzulassen. Die Umbenennung des ATB
in ATSB (Arbeiter-Turn-und-Sportbund) stellt das Ende eines Prozesses der
Öffnung hin zu anderen sportlichen Betätigungen dar.
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Bildpostkarte des Arbeiter-Turnbundes mit dem Bundesemblem FFST („Frisch, Frei, Stark und Treu“) und dem Bundesgruß „Frei Heil“
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Der Aufschwung des Arbeiter-Turnerbundes am Beispiel der Geschäftsstellen: Probstheida (1905), Leipzig (1911), ATSB-Bundesschule Leipzig (1926)
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Station 2: Der Arbeitersport und seine Organisationen
konstituiert sich und differenziert sich aus
Die
Arbeitersportbewegung konstituierte sich in veschiedenen Sportarten Ende des
19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Verbände einte eine
anitkapitalistische Haltung, die sich etwa im folgenden Zitat ausdrück:
„Die freiheitlich gesinnten Turner werden
eifrig mitarbeiten, ein altes verfaultes System mit Stumpf und Stiel
auszurotten, alte Ruinen niederzureißen, damit neues Leben aus ihnen erblühe.
Unter diesen neuerrichteten Gebäuden erst werden wir ausrufen können: Wir haben
Friede, Freiheit, Recht. Keiner ist des andern Knecht.“
-
Erste Ausgabe der Arbeiter-Turnerzeitung des ATB
Im
Folgenden werden beispielhaft die Eckdaten einiger Sportzusammenhänge
aufgezeigt, um zu verdeutlichen wie dynamisch und divers die
Arbeitersportbewegung aufgestellt war.
Zentralkommission
für Arbeitersport und Körperpflege (1912)
Die Zentralkommission für Sport und
Körperpflege war der Dachverband des Arbeitersports in Deutschland. Sein Zweck
war die organisatorische Bündelung der Arbeitersportvereine und die
systematische Agitation gegen bürgerliche Verbände. Sie brachte dafür bspw. ab
1921 wöchentlich die „Deutsche
Arbeitersportzeitung“ heraus.
Unter ihrem Dach vereinten sich folgende Verbände:
Name
|
Gründung
|
Anzahl
Vereine/ Ortsgruppen
|
Ungefähre
Zahl Mitglieder
|
Anteil
Frauen [%]
|
Arbeiter-Turn- und
Sportbund
|
1893 (ATB) 1919
(ATSB)
|
6.886
|
738.048
|
16,97 %
|
Arbeiter-Radfahrerbund
„Solidarität“
|
1896
|
4.951
(OGen)
|
320.000
|
14,06 %
|
Touristenverein „Die
Naturfreunde“
|
1895
|
1.010
|
87.575
|
34,15 %
|
Arbeiter-Athletenbund
Deutschlands
|
1906
|
1.206
|
63.316
|
1,54 %
|
Arbeiter-Samariter-Bund
|
1888/1909
|
1.209 (Kolonnen)
|
42.757
|
17,7 %
|
Verband
„Volksgesundheit“
|
1890
|
112
|
15.393
|
26,49 %
|
Deutscher
Arbeiter-Schachbund
|
1912
|
460
|
12.850
|
unbekannt
|
Arbeiter-Keglerbund
|
1924
|
835
|
8.216
|
5,56 %
|
Arbeiter-Angler-Bund
Deutschlands
|
1921
|
142
|
6.500
|
1 %
|
Arbeiterschützenbund
|
1920
|
412
|
5.579
|
7,5 %
|
Freier Seglerverband
|
1901
|
42
|
unbekannt
|
unbekannt
|
"Sturmvogel",
Flugsportverband der Werktätigen e.V.
|
1929
|
190 (OGen)
|
20.000
|
unbekannt
|
Die Entwicklung einiger
der Vereinigungen wollen wir uns beispielhaft etwas genauer anschauen und auch
bis in die heutige Zeit nachverfolgen:
Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität (1896)
· „Solidarität“ besaß eine eigene genossenschaftliche Fahrradfabrik (Fahrradfabrik „Frischauf“) und diverse Läden sowie ein vereinsinternes Sicherungssystem mit Unfall-, Haftpflicht-, Diebstahl-, Rechtsschutz- und Sterbeversicherung
· 1933 Auflösung durch die Faschisten
· 1949 Wiedergründung in Westdeutschland
· 1954 Gründung des Jugendverbands Solidaritätsjugend Deutschlands (Solijugend/Soli)
· 1963 Umbenennung in Radfahrerbund Solidarität
· 1964 Umbenennung in Rad- und Kraftfahrerbund „Solidarität“ Deutschland 1896
· 1990 erfolgte die Vereinigung des RKBS (DDR) mit dem RKBS (BRD) zum Rad- und
Kraftfahrerbund „Solidarität“ Deutschland 1896 e. V.
Touristenverein Die Naturfreunde (1895)
· 1897 Gründung der naturwissenschaftlichen Sektion der Naturfreunde
· 1898 Einrichtung von Sonderzügen als kostengünstige Variante zum Reisen
· 1899 Eröffnung der ersten Bücherei
· 1900 Eröffnung des ersten Naturfreundeheims
· 1906 der Klub der Freunde der Amateurfotographie (1905) wird in die Naturfreunde
aufgenommen
· 1926 Gründung der Naturfreundejugend
· 1930 nach der Spaltung zwischen ATSB und Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheiten (KG) gründen Kommunisten die Naturfreunde (Opposition), die später mit der Vereinigten Kletterabteilung (VKA, „Rote Bergsteiger“) fusioniert
· 1933 in Deutschland Auflösung durch die Faschisten. Die Naturfreunde bestehen nun schon aber in 21 weiteren Ländern.
· 1945 Wiedergründung als Naturfreunde Deutschland in Westdeutschland
Samariterkursus für Arbeiter und Arbeiterinnen (1895)
· schon 1888 wurden Kurse für „Erste Hilfe bei Unglücksfällen“ gelehrt
· 1896 Umbenennung in Arbeiter-Samariter
· 1900 Gründung Wasserrettungsdienst
· 1909 schlossen sich 11 Arbeiter-Samariter-Kolonnen zum Arbeiter-Samariter-Bund
zusammen
· 1910 Gründung der monatlichen Zeitschrift „Der Arbeiter-Samariter“
· 1920er Gründung der Arbeiter-Samariter-Jugend
· 1933 Auflösung durch die Faschisten
· 1952 Wiedergründung als Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V. in Westdeutschland
· 1970 ersetzte der ASB die bisherige Anrede „Genosse“ durch „Samariter“
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Wappen der Arbeitersportverbände |
Zeitstrahl mit Gründungsdaten veschiedener Arbeitersportverbände bis zur Spaltung der Arbeitersportbewegung in sozialdemokratische und kommunistische Sporteinheiten
Station 3: Was
bedeutet Arbeitersport? Grundsätze und ihre Umsetzung in die Praxis
Die Arbeitersportvereinigungen sind nicht nur Orte des
Ausgleiches und der Regeneration von der schweren körperlichen Arbeit, sondern
aktiver Teil der Arbeiterbewegung und beinhalten somit über die Regeneration
hinausgehende Ziele und Konzepte. Im Folgenden eine kurze Darstellung der
Grundpfeiler der Arbeitersportbewegung:
- Klassenkampf und Errichtung des Sozialismus:
Die Arbeitersportbewegung bekannte sich (auch
offiziell, so wie auf dem Bundestag des Arbeiter-Turn- und Sportbundes 1919)
klar zur marxistischen Theorie, dem Klassenkampf und dem Streben zum
Sozialismus. Sie erkannte an, dass alle gesellschaftlichen Bereiche von den
Produktionsverhältnissen abhängig sind, die unsere Gesellschaft formen. Somit
kann es keinen „unpolitischen Sport“ oder „unpolitische Erziehung,
Bildung oder Kultur“ geben, denn im Sport wie überall spiegeln sich immer auch
die gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Im bürgerlichen Sport treten folglich
kapitalistische Zerfallserscheinungen auf und es wird Konkurrenz,
Individualismus, Leistungsdrill und Spezialisierung gefördert, aber auch ganz
explizit bürgerliche politische Propaganda betrieben – als Beispiel: die
Militarisierung und Faschisierung des Sportbetriebs zum 1. bzw. 2. Weltkrieg. Sport
wurde hier aktiv benutzt, um junge Menschen für Kriegstreiberei zu begeistern
und sie für den Kampf an der Front vorzubereiten. Vom bürgerlichen Sport wird in
der Regel gleichzeitig die Maxime des „unpolitischen Sports“ gepflegt, um
klassenkämpferische Perspektiven zu verdrängen oder aktiv zu bekämpfen. Das
haben wir bereits in der Gründung des ATB gesehen.
Der Psychologe Pavel Petrovich Blonsky fasst die
antisozialen Seiten des bürgerlichen Sports folgendermaßen zusammen: “
- Gesundheitsgefährdung
- Übertreibung
- Spezialisierung
- Gehässigkeit gegen den Sieger, Verspotten des Besiegten
- Hinneigen zum Betrügen
- Gruppenegoismus, ungerechtes Verhalten gegen Schwächere
- Muskelkult
- Äußerst starke und einseitige Entwicklung des Ehrgeizes“
Daraus, dass der Arbeitersport sich als
klassenkämpferisch begreift, entspringt eine grundsätzlich andere
Herangehensweise an den Sport und die Persönlichkeitsentwicklung.
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Umzug zur Eröffnung der Internationalen Arbeiterolympiade 1931 in Wien mit Banner „Die Proletarier der ganzen Welt vereinigen sich im Sport!“
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- Körperliche und geistige Erziehung/Bildung:
Die körperliche und geistige Erziehung der Arbeiter
und insbesondere der Arbeiterjugend spielten eine bedeutende Rolle im
Arbeitersport. Dabei handelte es sich um eine ganzheitliche
Erziehung/Bildung und Förderung, die nicht nur der allgemeinen
Gesunderhaltung und sinnvollen Freizeitgestaltung diente, sondern
vorallem der Vermittlung von Solidarität und der Stärkung des
Gemeinschaftsgefühls. Die Wichtigkeit solidarischer, gemeinschaftlicher
Verhaltensweisen war dabei kein Selbstzweck, sondern förderten den Aufbau einer
organisierten und klassenbewussten Kampf- und Aufbaugemeinschaft. Auch eine sozialistische Disziplin sollte durch
den Arbeitersport gefördert werden, da sich die Individuen als aktiven,
aufbauenden Teil der Gemeinschaft verstehen lernen und selbst disziplinieren.
Arbeitersport-Theoretiker Paul Franken schreibt dazu:
„Sportliche Betätigung
darf nicht Selbstzweck sein! Ein wahrer Sportler will durch den Sport neue
ideelle Werte schaffen und durch aktive Teilnahme am politischen Leben
mithelfen, die sozialistischen Voraussetzungen für den kulturellen Aufstieg des
arbeitenden Volkes zu schaffen. Gerade Sportler müssen Kämpfer für eine bessere
Zukunft sein.“
Wichtiger Teil der ganzheitlichen Bildung/Erziehung
war auch die geistige Bildung/Erziehung. Der kommunistische
Arbeitersport-Theoretiker Bruno Lieske schreibt zum Problem der
Bildungsungleichheit in bürgerlichen Verhältnissen:
„[Im Sinne der
Bourgeoisie] müssen die produzierenden Massen nicht nur der Produktionsmittel
beraubt sein, sondern sie dürfen auch an Wissen diejenigen nicht überragen, die
in dieser Ordnung [dem Kapitalismus] über sie herrschen sollen.“
Die Arbeitersportbewegung verstand, dass zur Befreiung
aus den kapitalistischen Verhältnissen - die körperliche und geistige
Degeneration für die Arbeiter bereit hielt - allgemein gebildete, selbstbewusste
Klassenkämpfer gebraucht werden. In ihre Programme und Aktivitäten wurden
also ebenfalls Bildungselemente eingeflochten wie zum Beispiel der
Besuch von Theater und Musikaufführungen, die Teilnahme an Kundgebungen, die
Durchführungen inhaltlicher Veranstaltung und das Beteiligen an
tagespolitischen Kämpfen.
Zusammenfassund dargestellt werden diese Aspekte auch
im Erziehungsprogramm der Sozialistischen-Arbeitersportinternationalen
(1929):
„A. Grundsätze und Ziele
1. Die Arbeiter-Turn- und Sportbewegung ist ein Teil
der allgemeinen Arbeiterbewegung und soll die Arbeiterklasse von der
kapitalistischen Herrschaft befreien und eine neue Gesellschafts- und
Wirtschaftsordnung mithilfe des Sozialismus errichten.
2. Arbeiter-Turner- und Sportler haben der
politischen, gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Arbeiterbewegung
anzugehören. Diese stellt die Voraussetzung sowie Grundlage für die
Arbeitersportbewegung dar.
3. Ziel der Arbeitersportbewegung ist der körperliche,
geistige und moralische Aufstieg der Arbeiter sowie die Mitarbeit an der
sozialistischen Kultur, der Pflege des internationalen Sozialismus und der
Förderung der Kampfbereitschaft gegen internationale Reaktionen.
4. Diese Ziele sollen durch körperliche und geistige
Erziehung erreicht werden. Der Mensch wird als Individuum angesehen, wodurch
die körperliche und geistige Erziehung nicht zu trennen ist.
5. Die körperliche Erziehung soll Schäden in
körperlicher Gesundheit beheben, die durch den Kapitalismus verursacht wurden
und sich zum Gesundheitssport der Massen entwickeln. Die damit verbundene
Erhöhung der körperlichen Beweglichkeit, Leistungsfähigkeit, zielt auf die
Schönheit der Gestalt ab.
6. Die körperliche Ertüchtigung soll auch mit
sozialistischem Denken, Fühlen und Handeln verknüpft werden. Weiterhin soll
eine Erziehung zu Klassengefühl, Solidarität, Disziplin und Opferbereitschaft
durchgeführt werden."
"B. Geistige Bildungsarbeit
1. Regelmäßig gehaltene kurze Ansprachen bei
Übungsabenden, Vereinssitzungen, Wettkämpfen und Wettspielen, Turn-und
Sportfesten.
2. Vorträge, Diskussionsabende und
Elternversammlungen.
3. Kurse für allgemeine Bildungsarbeit und für
spezielle Funktionen.
4. Veranstaltungen (Theater, Musik, Gesang, bildende
Kunst, Vorträge, Sprechchor, Bewegungschor, Ausflüge uvm.) und Feiern im
sozialistischen Geiste.
5. Bibliotheken und Leseräume in Vereinen und
Verbänden.
6. Kampf gegen Alkohol und Nikotin.
7. Unterhaltungsspiele (Schach usw.).
8. Teilnahme an wirtschaftlichen, politischen und
kulturellen Kundgebungen von Organisationen, die auf dem Boden der
sozialistischen Arbeiterinternationale stehen.
9. Kampf für Jugendschutz und Jugendrecht.“
Was bedeutete das in
der Praxis?
Als Teil der Arbeiterbewegung verlegten die
Arbeitersportler ihre Aktivität nicht lediglich auf den Sport- und
Bildungsbetrieb. Sie beteiligten sich ebenfalls an Arbeitskämpfen, nahmen an Kundgebungen
teil, organisierten selbige und stellten tagespolitische
Forderungen auf. Diese umfassten kleinteiligere Forderungen wie zum
Beispiel verbindliche Spielenachmittage in Schulen mit Wanderungen und
Badenachmittagen; Forderung zur Errichtung ausreichender Spielflächen im
öffentlichen Raum und ausreichend Einrichtungen zur Körperhygiene oder die
Ermäßigung von Fahrpreisen für Eisenbahnen für Schüler und Jugendliche, damit
sie leichter Wandergebiete erreichen konnten. Unter den Kampfgemeinschaften für
Rote Sporteinheiten wurden außerdem explizitere, gesamtgesellschaftliche Kämpfe
wie bspw. der Kampf für die antifaschistische Einheitsfront oder der Kampf
gegen die Arbeitsdienstpflicht geführt.
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ATSB-Reklame aus "Nordischer Arbeitersport", 1927, Georg Kretzschmar
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Einen
Einblick in die „Schwierigkeiten“, die es bei der Umstellung des Lebensalltags
im Sinne des Arbeitersportes gab, gibt Christian Heck in der „Arbeiter-Turn-Zeitung“
vom 10. Januar 1923 – Eine Diskussion mit einem Freund über Alkohol und andere
schlechte Angewohnheiten:
Christian Heck, Hamburg, Arbeiter-Turn-Zeitung
vom 10. Januar 1923
Nicht ich, sondern mein Freund war es, der neulich
eine erbitterte Philippika über obiges Thema vom Stapel ließ.
"Laß mich in Ruh' mit eurem Vereinsleben, ich
habe genug davon. Körperkultur wollt Ihr treiben? Wahre Geselligkeit wollt ihr
pflegen? Daß ich nicht lach'!"
"Was hast du denn wieder auszusetzen?" fragte ich eingeschüchtert.
"Auszusetzen? Na, so ziemlich alles. Da turnt ihr
wie besessen zwei geschlagene Stunden lang, und wenn Herz und Lunge so recht
angefeuert arbeiten, steckt ihr schnell die Giftnudel an und puh − ah − geht
es, immer durch die Lunge."
"Ich gebe ohne weiteres zu, daß das nicht gut
ist, aber wegen dieser Sache allein verdammst du uns in Grund und Boden?"
"Nicht deshalb allein! Aber das Schlimmste kommt
erst. Wenn ihr euch alle ein zusammengedrehtes Stück Tabak in den Mund gesteckt
habt, dann fühlt ihr euch erst als richtige Männer und nun im Sturmschritt rein
in die Kneipe."
"Ja, sieh mal, wenn man zwei Stunden turnt, dann
findet nach ärztlichem Urteil infolge der erhöhten Blutzirkulation, durch
Verdunstung usw. ein vermehrter
Verlust an Körperflüssigkeit statt. Der ganze Vorgang äußert sich als Durst.
Zudem staubt es auch manchmal in der Turnhalle. Ich gebe dir die Versicherung,
ein Glas Bier nach dem Turnen schmeckt ausgezeichnet."
"Das wollte ich auch gelten lassen. Aber sehe sie
dir doch an, deine Turngenossen. Wenn der Durst gelöscht ist, geht's erst los,
dann kommt der Schnaps an die Reihe."
"Na aber − "
"Kein Aber!!!"
Hier hatte mein Freund sich in Zorn geredet und ich
kam nicht mehr zu Worte.
"Jeder notorische Trunkenbold, der die
Schnapsflasche immer bei sich führt, wird nicht überall und ohne weiteres
daraus trinken, sondern er stellt sich dazu verschämt hinter eine Haustür, weil
er sich einer schlechten Tat bewußt ist. Und was macht ihr? Irgend so ein Lapps
fühlt sich berufen, eine Runde Schnaps auszugeben. Der wird nicht etwa so ohne
Sang und Klang getrunken. Ein besonders 'Tüchtiger' hält zunächst eine
Ansprache und feiert gebührend das Getränk und den edlen Spender dieser Runde.
Ein Pfaffe könnte es manchmal nicht besser. Die ganze Gesellschaft steht im
Kreise um ihn herum, in der erhobenen Rechten ein Glas voll Fusel. Aller Augen
leuchten, ein Zeichen, daß man sich des großen Augenblicks bewusst ist. Dann
folgt ein Absingen und Abrufen verschiedener Saufsprüche, meistens bayrischer
Art, und nach noch einigen Zeremonien wird schließlich auf Kommando der heilige
Fusel hinter die Binde gegossen. Pfui Deibel!"
Mein Freund räusperte sich und spuckte aus. Aber bevor
ich noch etwas erwidern konnte, fuhr er fort:
"Und dann mit dem Bier; es ist genau dasselbe.
Ihr habt da einen Glasstiefel, der faßt drei Liter. Daraus trinkt ihr Bier. Aus
dem Schuh oder Stiefel trinken ist das Zeichen der Uterwürfigkeit. Den Stiefel,
der ihm Fußtritte versetzt, leckt der Hund. Ganz abgesehen davon, daß es sich
mit Körper- und Gesundheitspflege gar nicht verträgt, wenn 15 oder mehr Mann
ihren Mund in ein und dasselbe Glas stecken. In den Ascheimer mit diesem
Scherben. Und dann denken diese Rotznasen noch wunder was sie fertig bringen,
wenn sie einen "Stiefel" trinken. Sie sollten sich für das Geld
lieber etwas Nützliches kaufen."
Soweit mein Freund.
Der Mann hat natürlich keine blasse Ahnung oder er
übertreibt maßlos. Bei uns ist das alles längst nicht mehr so. Sollte aber
irgendwo noch ein Verein existieren, der, weitab der großen Heeresstraße
gelegen, noch keinen neuzeitlichen Luftzug verspürt hat und besagten Kultus
noch pflegt, so wäre das natürlich nicht gutzuheißen. Weil ich aber nicht zu
den Vereinsunken gerechnet werden möchte, die nur gewöhnheitsmäßig quaken, so
mache ich folgenden Vorschlag: Das mit dem Schnaps lassen wir ganz fallen; er
zerfrißt nur das Gehirn. Zudem behaupten böse Zungen, hinter den vielen
Saufsprüchen verberge sich geistige Armut.
Und der Stiefel? Es ist wohl richtig, wenn man sagt,
es kommt weniger auf den Stiefel an, als vielmehr auf den "Klamauk",
der gemacht und die Stimmung, die dabei erzeugt wird. Das Menschenherz braucht
nun eben etwas, an dem es sich von Zeit zu Zeit wieder aufrichten kann. Wenn
wir aber wissen, daß der Klamauk die Hauptsache, der Stiefel dagegen Nebensache
ist, so haben wir auch schon die Stelle gefunden, an welcher der Hebel
angesetzt werden muß: Wir behalten den Klamauk und ersetzen den Stiefel durch
etwas anderes, vielleicht durch eine große Pfanne voll Bratkartoffeln.
Die Zeremonie des Stiefelabklopfens ließe sich ganz
gut mit dem flachen Löffel an der Pfanne ausführen. Wir erreichen dabei gleich
zweierlei: Erstens bekommen wir etwas "Aufbauendes" in den Leib und
zweitens brauchen wir den geliebten Hokuspokus nicht zu entbehren. Auch der
Kneipwart wird dadurch nicht ausgeschaltet. Er schlage mit dem Holzhammer auf
den Tisch und intoniere nach der Weise des Torgauer Marsches:
"Wohlauf! Die Pfanne kommt! // Begrüßt sie nun //
wie's wackeren Zechern frommt."
Station 4: Die
Ansichten zur Rolle des Arbeitersportes gehen auseinander - Spaltung und
Ausschluss der Kommunisten
1920 gründete sich die Internationale Vereinigung
für Sport und Körperkultur – inoffiziell bekannt als Luzerner
Sportinternationale. Die Luzerner Sportinterantionale versuchte sich
neutral gegenüber Parteiorganisationen zu verhalten, was sich aber im Angesicht
der kapitalistischen Krisen, der faschistischen Bedrohung und einer latenten
Kriegsgefahr als utopisch herausstellte. Die kommunistischen Sportler stellten
die politische Neutralität regelmäßig in Frage, da in ihrem Verständnis die
Arbeitersportbewegung nicht auf den revolutionären Kampf verzichten könne.
Diese Haltung führte dazu, dass 1921 auf dem dritten
Kongress der Kommunistischen Internationalen (KomIntern) die Schaffung
einer eigenen Sportinternationalen (Sportintern) beschlossen wurde.
Unter dem politischen Druck der Kommunisten verweigerten die sozialdemokratischen
Luzerner zunehmend einer Zusammenarbeit. So weigerten sie sich, 1925 bei der
Arbeiterolympiade vier Delegationen der Sportintern antreten zu lassen und
verboten – nun in Sozialistische Arbeiterinternationale (SASI) umbenannt –
ihren Mitgliederorganisationen die Teilnahme an der Spartakiade 1928 in der
Sowjetunion.
Nach dem 16. Bundestag des ATSB 1928, der sogenannten
"Schlacht von Leipzig", kam es zu zahlreichen Ausschlüssen nicht nur
kommunistischer Sportler aus den Vereinen der Arbeitersportverbände wie dem
Dachverband - der Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege -
oder dem größten Arbeitersportverband - dem Arbeiter-Turn-und-Sportbund
(ATSB). Als Auschlussgrund genügte es schon, Kontakt zu Sportlern in der
Sowjetunion zu pflegen oder noch Kontakt zu schon ausgeschlossenen Mitgliedern
bzw. Vereinen zu halten.
Die ausgeschlossenen Kommunisten taten sich am
29.05.1929 zur Interessengemeinschaft (IG) zur Wiederherstellung der Einheit
im Arbeitersport zusammen. Auf ihrem Erfurter Kongress am 07.06.1930
erfolgte die Umbenennung in Kampfgemeinschaft (KG) für Rote Sporteinheit,
kurz Rotsport. Bis Ende 1930 sollten 34.000 kommunistische Mitglieder
aus den alten Arbeitersportverbänden ausgeschlossen worden werden. Am
11.10.1931 trat die KG der Roten Sportinternationalen (RSI) bei.
Bis 1933 sollten die reformistischen Arbeitersportler
das zahlenmäßige Übergewicht halten. Jedoch gelang es den Kommunisten immer
wieder auch ganze Vereine aus den „bundestreuen“ Verbanden herauszuziehen und
in den Rotsport zu intergrieren. In Städten wie Berlin, oder Halle-Merseburg
war die Kampfgemeischaft so gut aufgestellt, dass die Sozialdemokraten aus den
Kartellen austraten und sie den Kommunisten überlassen mussten.
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Gruppenfoto des Arbeiter-Turn- und Sportvereins Fichte 1932 mit Banner „Bürgerliche Sportvereine sind Rekrutenschulen für Krieg gegen die Sowjetunion!“
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Richtlinien und Aufgaben der Kampfgemeinschaft (KG) für Rote Sporteinheiten
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Station 5: Verbot des
Arbeitersportes im Nationalsozialismus
Faschismus
Mit der Machtübertragung an die Faschisten am
30.01.1933 richteten die Rotsportler sofort einen Appell zum Kampfbündnis an
alle werktätigen Sportler Deutschlands. In Leipzig z.B. fand am 19.02.1933 eine
gemeinsame Protestaktion der KPD, SPD, SAJ, des KJVD, der Kampfstaffeln und
Anderer statt. Die reformistischen Sportführer ließen sich jedoch nicht
endgültig auf eine Einheitsfont gegen den faschistischen Terror ein und
verwiesen immer wieder auf die Entscheidungsgewalt ihrer Partei.
Dennoch konnte z.B. in Leipzig am 25./26.02.1933 der 3.
Kongress der werktätigen Sportler Sachsens, mit 600 Delegierten abgehalten
werden. Neben Rotsportlern, nahmen auch Delegierte des ATSB, der deutschen
Turnerschaft und des deutschen Fußballbundes teil.
Mit dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 verstärkten
sich jedoch die Repressionen gegen die Arbeitersportvereine so wie gegen alle
Linken im Lande – insbesondere gegenüber Kommunisten. Es kam zu unzähligen
Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Besetzungen seitens der Polizei.
Glücklicherweise stand in Leipzig die Polizei der SPD nah, sodass viele
Genossinnen und Genossen frühzeitig gewarnt wurden und somit Dokumente
vernichten und mobile Werte verstecken konnten.
Am 23. März 1933 wurde dennoch die Bundesschule des
Arbeiter-Turn- und Sportbundes besetzt. Für diese Aktion mussten extra
SA-Männer aus mehreren sächsischen Städten anreisen, da sich in Leipzig nicht
genügend fanden, die bereit waren, diese Aktion durchzuführen.
Am 1. April 1933 wurden schließlich alle
kommunistischen Vereine geschlossen. In vorauseilendem Gehorsam mahnte die
Führung der sozialdemokratischen Sportverbände ihre Sportler zum Einhalten der
nun gebotenen Gesetze und legten jegliches Bekenntnis zur politischen Aktivität
ab:
Der "Sächsische Arbeitersport" (Organ des
ATSB) vom 28.03 1933
"An die Vereine des 4.Kreises!...
Für unsere Vereine handelt es sich jetzt um folgendes: Die Pflege der
Leibesübungen ist eine so bedeutsame Arbeit, daß wir außer dieser Tätigkeit
keine Zeit mehr finden um andere Arbeiten zu tätigen. Wir werden den turnerischen
und sportlichen Aufgaben gerecht werden und damit die Arbeiten ausführen, die
wir uns als Sportorganisation selbst gestellt haben zur Gesunderhaltung der
deutschen Arbeiterschaft.
Wir bitten die Vereine dringend, dieses zu beachten und alle anderen
Arbeiten zu unterlassen.
Allgemein aber noch einmal folgendes: Sportabteilungen des Reichsbanners und
der Sozialistischen Arbeiterjugend können bei uns nicht mehr Mitglied sein. Wo
solche Abteilungen oder Vereine bestehen, ist jeglicher Verkehr abzubrechen.
Mitgliederaufnahmen können durch Vereine nur dann getätigt werden, wenn es
sich um wirklich sportliebende Männer und Frauen handelt. Nicht aufgenommen
werden können aber Angehörige verbotener Organisationen oder Mitglieder der
Oppo, die jetzt bei uns Unterschlupf finden wollen (siehe die Erklärung des
Bundesvorstandes vom 9.März).
Bei den Besuchern der Übungsstunden und der Spielplätze ist darauf zu
achten, daß keinerlei Störenfriede oder Angehörige der verbotenen
Organisationen zu uns kommen, die Unterhaltungen unter den Teilnehmern
anknüpfen, um so unsere Vereinsarbeit in ein falsches Licht zu stellen.
Rücksichtsloses Einschreiten der Vereinsfunktionäre gegen solche Elemente ist
am Platze.
Versammlungen der Vereine dienen nur dem reinen Vereinszweck, sie dürfen nicht
zu anderen Aussprachen missbraucht werden. Die Versammlungsleitungen sind für
den Ablauf der Versammlungen verantwortlich. Im Missbrauchsfall ist sofort von
dem Hausrecht Gebrauch zu machen.
Das Tragen der Abzeichen ist in einigen Landesteilen verboten. Wo dieses
der Fall ist, ermahnen wir die Mitglieder zur strikten Befolgung dieser
Bestimmungen. Das gleiche gilt für das Aufstecken der Fahne oder das Mittragen
der Wimpel bei Wanderungen usw. Ferner bei den Singen der Lieder und Spielen
von Märschen.
Ein korrektes Verhalten der Mitglieder und der Vereinsleitungen ist
dringend geboten. Unterlaßt alles, was dem Anschein einer herausfordernden
Stellung gleichkommen könnte. Bedenkt, wir stehen auf dem Boden der
gesetzlichen Bestimmungen und haben alles zu unterlassen, was gegen unsere
Vereinsarbeit ausgelegt werden könnte. Wir sind eine Sportorganisation und
sehen in der Pflege der Leibesübungen die restlose Erfassung unserer Vereins-
und Bundesarbeit. Bewahrt Ruhe und Besonnenheit, aber haltet auch dem Bund die
Treue in dieser schweren Zeit."
Geholfen hat es ihnen
nichts - am 28. April wurden auch alle sozialdemokratischen Sportvereinigungen
verboten.
6. Station: Das Proletariat und der Fußball
Um die Spannungen in der
Auseinandersetzung des Verhältnis von Sport und Politik zu verdeutlichen, haben
wir im Folgenden zwei Texte mit zwei sehr gegenteilige Einschätzungen am Beispiel
des Fußballspiels ausgesucht und möchten diese zum Abschluss darstellen.
·
Das Unverständnis gegenüber der Verbindung von
Sport und Politik, in der anarchistischen Zeitung "Der
Syndikalist", Beilage "Die junge Menschlichkeit" (Juni 1921)
"Sport und Politik zu verquicken ist ein
Lieblingsbeginnen unserer Feinde von links. Links vielleicht nicht einmal in
politischer Beziehung, sondern links, weil sie sich selbst als links oder sogar
„linkser“ gerichtet vorstellen.
Gott strafe England! Nicht etwa aus nationalistischen
Gründen, sondern weil dieses Volk den Fußball erfunden hat. Der Fußball aber
ist eine konterrevolutionäre Erfindung. Proletarier zwischen 18 und 25 Jahren,
also gerade diejenigen, die die Kraft hätten, ihre Ketten zu sprengen, haben
keine Zeit zur Revolution, sie spielen Fußball!
Politische Versammlungen sind selbst mit Aufwand aller
Agitationsmittel immer gähnend leer, Fußballplätze sind Sonntag für Sonntag in
allen Ecken der Großstadt immer nicht mit Tausenden, sondern Zehntausenden
gefüllt. Da steht der Prolet mit Weib und Kind an der Barriere und folgt
stundenlang atemlos den Bewegungen des seelenlosen Balles. Als hinge die Lösung
der sozialen Frage, als hinge Leben und Seligkeit davon ab, ob dieses Ding nach
rechts oder nach links durch die Gegend fliegt.
Es ist wie eine Krankheit, wie ein Fieber. Mag das
Staatsgebäude aus allen Fugen krachen, mögen nebenan die Truppen der Entente
ihre Freiübungen machen, mögen die Menschen mit Mordwaffen in der Hand sich
gegenseitig politisch zu überzeugen suchen, mag Arbeiterblut von grünen,
blauen, weißen, gelben Polizeitruppen vergossen werden, das alles ist
nebensächlich. Wichtig ist allein, ob am kommenden Sonntag der SC Einigkeit
oder der SV Muskelschwund als Sieger aus dem Wettkampfe hervorgehen wird.
Sonderbar! Das sind nun fast alles Proletarierjungens,
die sich da die Schienbeine zertrampeln. Als ob ihre Muskeln nicht schon genügend
während der werktätigen Fronarbeit in Anspruch genommen würden. Da wäre es doch
natürlicher und eine wohltuende Abwechslung, wenn der Sonntag zur Ausbildung
der gänzlich untrainierten Gehirnmuskulatur verwandt würde. Aber nein! Nur
nicht nachdenken!
Der lachende Dritte ist der Kapitalist. Er weiß, dass
es ihm erst dann ans Leder gehen wird, wenn der Proletarier anfängt zu denken.
Deshalb sucht er ihn mit allen Mitteln davon abzuhalten, und das kann er am
besten, indem er den geistabtötenden Sport fördert. In der bürgerlichen Presse,
die sonst so sparsam ist mit dem Raum, stehen spaltenlange Artikel über den
Fußballsport. Da finden dann die armen Proletarierjungens, die in der Woche nur
„Masse“, nur „Nummern“ sind, ihre Namen leibhaftig gedruckt. Da steht es denn,
dass Fritze Müller einen glänzenden Stoß von der Seite ausführte und dass
Meiers Karl in wunderbarer Weise das Tor verteidigt hat. Und in der
illustrierten Beilage ist die ganze Gesellschaft sogar abgebildet."
·
Im Vergleich dazu Bertolt Brecht „Das größte Kunstereignis 1929“:
"In einer Unfrage
der «Literarischen Welt» haben sich einige Herren zum bemerkenswertesten
Kunsterlebnis des Jahres 1929 geäußert. Gerhard Hauptmann nannte die Aufführung
eines (eigenen) Stücks, Franz Werfel sprach sich für die Gedichte seiner
Freunde aus, Th. Mann bekannte sich zu einer Oper. Ich bedaure alle drei, zünde
meine Zigarre an und stimme für das interessanteste Spiel der Deutschen
Meisterschaft, Schalke 04 gegen Arminia Hannover, das mit 6 zu 2 endete. Für
den zylindertragenden Betrachter mag die Wahl eines Sportereignisses eine
Überraschung sein. Doch besteht der Vorteil meiner Wahl gerade in ihrem Mangel
an Originalität. Nicht nur wird mein Urteil von 20 000 Kunstkennern geteilt,
sondern auch von der Mehrheit der deutschen Fußballpresse, die sowohl dem
System des Schalker Kreiselspiels als auch den ausführenden Künstlern Szepan,
Kuzorra, Tibulski größte Hochachtung entgegenbrachte. Für einmal fand an einem
Kulturereignis kein Nepp statt. Der Gegenwert für das Eintrittsgeld wurde
geboten. Die einzige Beeinträchtigung des Vergnügens bestand in der Abwesenheit
des bürgerlichen Feuilletons, dessen Ablehnung sonst jeder gelungenen
Veranstaltung ihre besondere Würde verleiht. In der Tat ist die Nachricht noch
nicht in die Redaktionen Notgedrungen, daß Fußball als Kunstform den
traditionellen Formen Literatur, Theater, Malerei, Musik bei weitem überlegen
ist. Fußball ist wie alle große Kunst einfach. Die Übersichtlichkeit der Regeln
gestattet es, in Ruhe Details zu studieren, etwa Kuzorras Ballannahme, die
Paraden Sobottkas oder Tibulskis Fallrückzieher. Jeder Zuschauer ist spätestens
nach drei Spielen Kenner. Das Publikum ist also ausschließlich aus Kennern
zusammengesetzt. So ist auch Kritik das Markenzeichen des Publikums. Während
der Smokingträger in Konzerten oder im Theatersaal auf dem Maul sitzt, treffen
wir in den Sportstadien auf einen Menschen, der pfeift, raucht, singt, aber
nicht jede Darbietung zu ertragen gewillt ist. (Daß das Fußballpublikum
parteiisch ist, ändert nichts an dieser Tatsache: Unparteiische Beobachter
verschweigen in der Regel nur, wer sie für ihr Urteil bezahlt hat.) Nun zeugen
Rufe wie «Elfmeter» oder «Schieß doch, du Affe!» von einer geistigen
Beweglichkeit, die diejenige eines Smokingpublikums bei weitem übertrifft.
Mitdenkende Kommentare wie: «Pinseln Sie Ihr Bild abstrakter!», «Ophelia
auswechseln!» würden auch diesem gut anstehen. Das hohe Niveau der Fußballkunst
basiert auf dem Respekt vor ehrlicher Arbeit. Ihr Ertrag ist meßbar: Jedes Spiel
ergibt ein Resultat. Daß nicht immer der Bessere gewinnt, spricht für den
unbarmherzigen Realismus der Fußballkunst. Man kann Wetten annehmen. Dem Zufall
wird eine Chance gegeben, und das, meine Herren, ist im Geschäftsleben nicht
anders. (Morgen, wenn Ihr Glück aussetzt, können Sie vernichtet werden.) Gerade
diese Unberechenbarkeit beweist die Überlegenheit des Fußballs gegenüber den
traditionellen Kunstformen, in denen der Ausgang der Kämpfe festgelegt ist: im
Theater schlägt Hamlet Polonius, aber im Spiel Schalke - Hannover kann die
Situation ruhig sein, Szepan bekommt den Ball im Mittelfeld, startet ein
ungeheures Dribbling um vier Verteidiger und schießt ein. Jederzeit ist die
Katastrophe oder der Geniestreich möglich: Fußball lehrt eine Masse in der
Möglichkeitsform denken. Sie macht die Erfahrung, daß sich in Sekunden etwas
verändern läßt. Fußball ist - zusammen mit der Erkenntnis, daß der Weg ins
Spiel fast immer über den Kampf führt - Anschauungsunterricht für
Revolutionäre. Auf gutem handwerklichem Niveau - jedenfalls für ein Land, das
von einem Rilke, Uhland oder George heimgesucht wurde ist auch die Lyrik. Die Songs sind singbar
und betont sachlich («blau und weiß ist ja der himmel nur / blau und weiß ist
unsre fußballgarnitur»), die Beschimpfungen direkt und wirksam («heute hauen
wir nach altem brauch / dem fc schalke auf den bauch / lustig lustig tralala /
heut ist die arminia mit dem hammer wieder da»). Last, not least wird einem für
sein Geld auch ein gesunder Gegenwert an Gefühlsausbrüchen geboten. Keine
Theateraufführung verhilft auch nur einem Zuschauer zu ebensolcher Freude wie
den 10 000 Anhängern ein Siegestor in der 89. Minute, keine Chopin- oder
Hölderlin-Matinee versetzt in so ehrliche Trauer wie der Verlusttreffer. Wie
bei allen interessanten Lebenslagen zahlt man auch im Fußball den Spaß mit dem
Risiko eines großen Verlusts. Gutes Amüsement hat schon immer Nerven und Mut
verlangt. Aus oben genannten Gründen stimme ich dafür, das Spiel Schalke - Hannover
als Kunstereignis des Jahres 1929 zu wählen, den Stürmer Ernst Kuzorra als
Künstler des Jahres auszuzeichnen und Fußball als fruchtbarste Kunstform des
20. Jahrhunderts zu sehen."
Literatur und andere Quellen:
·
Teichler,
H. J.; Hauk, G.: Illustrierte Geschichte
des Arbeitersports. Bonn (1987)
·
Wagner, H.: Sport und Arbeitersport.
Berlin (1931)
·
Lieske,
B.: Bürgerlicher Sport und Arbeitersport:
Aufgaben der Arbeitersportbewegung. Berlin (1924)
·
Blonskij,
P. P.; Uhlig, C.: Die Arbeitsschule.
Berlin (1986)
·
Wildung,
F.: Arbeitersport. Berlin (1929)
·
Zeitschrift
„Proletariersport“ (https://www.arbeiterfussball.de/medien/geesthachter-zeitungsfund/proletariersport/)
·
Kupfer,
T.: Arbeitersportler gegen den
Faschismus. Die Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheiten in Leipzig 1933 bis
1935. Leipzig (1988) https://www.das-kupfer.de/kg_diplomarbeit.htm
·
arbeiterfussball.de
(www.arbeiterfussball.de)
o
Historisches (https://www.arbeiterfussball.de/historisches)
o
Historisches/Verbände
& Vereine (https://www.arbeiterfussball.de/historisches/verb%C3%A4nde-vereine/)
o
International/internationale
Verbände (https://www.arbeiterfussball.de/international/internationale-verbände/)
o
Galerien
(https://www.arbeiterfussball.de/galerien/)
·
Brecht,
B.: Das größte Kunstereignis 1929. http://www.vietze.de/Extra/Bertolt%20Brecht%201929%20Schalke.pdf
·
International
Workers & Amateurs Sports Confederation (https://www.csit.sport/about-us/who-we-are)
Weitere Literaturempfehlungen:
·
Aus
der Reihe „Sport, Arbeit, Gesellschaft“:
o
Güldenpfennig,
S.: Gewerkschaftliche Sportpolitik.
Köln (1978)
o
Wohl,
A.: Die gesellschaftlich-historischen
Grundlagen des bürgerlichen Sports. Köln (1973)
o
Krüger,
A.; Riordan, J.: Der internationale
Arbeitersport - Der Schlüssel zum Arbeitersport in 16 Ländern. Köln (1985)
o
Weinberg,
P.: Lehren und Lernen im Sport. Köln (1976)
·
Wonneberger,
G.: Deutsche Arbeitersportler gegen Faschisten
und Militaristen. Berlin (1959)
·
Dierker,
H.: Arbeitersport im Spannungsfeld der
Zwanziger Jahre. Sportpolitik und Alltagserfahrungen auf internationaler,
deutscher und Berliner Ebene. Essen (1990)